Betriebsräte

Geschichte und Gegenwart der Betriebsräte

1920 wurde das Betriebsrätegesetz erlassen. Es war eine Folge der Novemberrevolution 1918/19 und eine Reaktion auf die starke Rätebewegung und Massenstreiks, besonders im Ruhrgebiet und in Mitteldeutschland. Das Ziel der Rätebewegung war die Absetzung des Kaisers und die Gründung einer radikaldemokratischen Räterepublik. Dies scheiterte an der blutigen Niederschlagung durch SPD und Freikorps. Die neugewählte Regierung des Deutschen Reichs unter Friedrich Ebert (SPD) versuchte die revolutionäre Stimmung durch Zugeständnisse zu beruhigen und schlug dafür die gesetzliche Verankerung von Betriebsräten vor.

Einige Tage vor der Verabschiedung legten über 100.000 Menschen in Berlin die Arbeit nieder und demonstrierten gegen das aus ihrer Sicht ungenügende Betriebsrätegesetz. Sie forderten den „Ausbau der Betriebsräte zu selbständigen revolutionären Organen neben den Gewerkschaften“ und wollten statt lediglich einer Mitwirkung das „volle Kontrollrecht über die Betriebsführung“ durch Arbeiter*innen, Angestellte und Beamte in sämtlichen Privat- und Staatsbetrieben. Die Betriebsräte sollten jederzeit durch ihre Wähler*innen abgesetzt werden können, damit sich keine neue Bürokratie bildet. Die Demonstration endete in einem Blutbad vor dem Reichstag, als die Polizei das Feuer eröffnete und 42 Menschen tötete. Die Regierung verhängte daraufhin den Ausnahmezustand, verbot 46 oppositionelle Zeitungen und schuf eine Demonstrationsverbotszone um den Berliner Reichstag, die bis heute fortbesteht.

Neben den Räten auf Betriebsebene wurden in der Weimarer Verfassung (1918 – 1933) nach Wirtschaftsgebieten gegliederte Bezirksarbeiterräte und der übergreifende Reichsarbeiterrat eingeführt. In der Praxis haben sich jedoch nur die Betriebsräte gebildet, die Pläne für Bezirksarbeiterräte und Reichsarbeiterrat verliefen im Sand. Von 1933 – 1945 setzten die Nazis das Betriebsrätegesetz außer Kraft. Seit 1952 gilt in der BRD das Betriebsverfassungsgesetz, das in der Tradition des Betriebsrätegesetzes steht.

Heute finden alle 4 Jahre in Betrieben, in denen ein Betriebsrat seit mindestens einem Jahr existiert, zwischen März und Mai Betriebsratswahlen statt. 2022 ist das nächste Wahljahr.

Rund 43 % der Beschäftigten in der Privatwirtschaft Westdeutschlands und 33 % Ostdeutschlands werden von einem Betriebsrat vertreten. Besonders in kleinen Betrieben unter 100 Arbeiter*innen gibt es selten einen Betriebsrat, in größeren Unternehmen fast immer.

Wie kann ein Betriebsrat gegründet werden?

In Betrieben mit mindestens 5 ständig beschäftigten Arbeiter*innen (einschließlich Azubis) kann ein Betriebsrat gewählt werden. Mindestens 3 Arbeiter*innen (oder eine Gewerkschaft) müssen zu einer Betriebsversammlung einladen, auf der ein Wahlvorstand gewählt wird. Dieser Wahlvorstand muss ein sog. Wahlausschreiben verbreiten – z.b. durch Aushang am schwarzen Brett – auf dem die Wahl in frühestens 6 Wochen angekündigt wird. Nun haben alle Arbeiter*innen 2 Wochen die Möglichkeit Wahlvorschläge zu machen, die Wählerliste zu bemängeln und andere formelle Einsprüche zu erheben.
Wahlberechtigt sind prinzipiell alle volljährigen, ständig beschäftigten Arbeiter*innen (einschließlich Azubis). Leiharbeiter*innen dürfen nach 3 Monaten Beschäftigung im Einsatzbetrieb wählen. Zur Wahl stellen, dürfen sich alle Wahlberechtigten, die seit mindestens 6 Monaten im Betrieb arbeiten. In neu gegründeten Betrieben entfällt die 6-Monate-Regel. In Betrieben bis 50 Arbeiter*innen werden Personen gewählt, in größeren Betrieben Listen. Ausgeschlossen von der Wahl sind einerseits Mönche und Ordensschwestern, Strafgefangene sowie Arbeiter*innen in Anstalten oder Arbeitstherapien, andererseits Geschäftsführer*innen und leitende Angestellte. Als leitende Angestellte gelten alle Angestellten, die (1) frei über Entlassungen und Einstellungen bestimmen können, oder (2) eine Generalvollmacht oder Prokura haben, oder (3) frei Entscheidungen treffen, die für Bestand und Entwicklung des Unternehmens von zentraler Bedeutung sind. Im öffentlichen Dienst sowie bei Religionsgemeinschaften und ihren karitativen und erzieherischen Einrichtungen können keine Betriebsräte gegründet werden. Die Zahl der Betriebsratsmitglieder steigt mit der Zahl der Wahlberechtigten (5 – 20 Wahlberechtigte = 1 Betriebsratsmitglied / 21 – 50 = 3 / 51 – 100 = 5 / 101 – 200 = 7 / usw.).

Welche Aufgaben und Rechte hat ein Betriebsrat?

Gesetzliche Aufgabe
Die gesetzliche Aufgabe des Betriebsrats besteht nach § 80 Betriebsverfassungsgesetz darin, “darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden”. Er soll “Maßnahmen, die dem Betrieb und der Belegschaft dienen, beim Arbeitgeber beantragen”, dabei aber nicht vergessen “die Beschäftigung im Betrieb zu fördern und zu sichern”. Er soll die “Gleichstellung von Frauen und Männern” durchsetzen und die “Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit” sowie “Maßnahmen des Arbeitsschutzes und des betrieblichen Umweltschutzes” fördern. Außerdem hat er sich um die Belange von Jugendlichen, Auszubildenden, Behinderten und älteren Beschäftigten zu kümmern.

Der Betriebsrat darf sich im Betrieb nicht parteipolitisch engagieren. “Angelegenheiten tarifpolitischer, sozialpolitischer, umweltpolitischer und wirtschaftlicher Art, die den Betrieb oder seine Arbeitnehmer unmittelbar betreffen”, sind hingegen erlaubt (§74 BetrVG).

Besonderer Kündigungsschutz
Betriebsratsmitglieder können nicht ordentlich gekündigt werden – weder aus krankheitsbedingten, per­so­nen­be­ding­ten noch betriebsbedingten Gründen (Ausnahme: Schließung des Unternehmens). Eine außerordentliche Kündigung ist nach Zustimmung des Betriebsrats möglich. Wird die Zustimmung verweigert, bleibt das Betriebsratsmitglied weiterbeschäftigt bis das Arbeitsgericht in einem Zu­stim­mungs­er­set­zungs­ver­fah­ren anders entscheidet. Der besondere Kündigungsschutz endet ein Jahr nach Ende der Betriebsratstätigkeit. Auch Mit­glie­der des Wahl­vor­stan­des und Wahl­be­wer­ber genießen den besonderen Kündigungsschutz, allerdings nur bis 6 Monate nach der Betriebsratswahl.

Freistellung von der Arbeit
Die Ausübung der Betriebsratstätigkeit geschieht während eines Teils der Arbeitszeit, für die der Betriebsrat sich bei einem Vorgesetzten abmelden muss. In Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten werden einzelne Betriebsratsmitglieder Vollzeit freigestellt (200 – 500 Beschäftigte = 1 freigestelltes Betriebsratsmitglied / 501 – 900 = 2 / 901 – 1500 = 3 / usw.).

Mitbestimmungsrecht
Der Betriebsrat hat zu unterschiedlichen Fragen ein Recht auf Mitbestimmung:

– Arbeitszeit (Beginn, Ende, Pausen, Verteilung auf die Wochentage, vorübergehende Verlängerung oder Verkürzung, Erstellung des Dienstplans)
– Urlaub
– Überwachungstechnik
– Arbeits-, Unfall- und Gesundheitsschutz
– Sozialeinrichtungen (z. B. Kindergarten, Kantine)
– Ordnung im Betrieb (z.B. Rauchverbot, Radio hören, Arbeitskleidung, Taschenkontrollen)
– Kündigung von Wohnräumen des Unternehmens
– Lohngestaltung (Lohngruppen, Zeit- oder Leistungslohn, Akkord- oder Prämienlohn)
– Vorschlagwesen (In welcher Form können Vorschläge von Arbeiter*innen eingereicht werden und welche Prämien gibt es?)
– Gruppenarbeit
– Schließung, Verlegung sowie Teilung des ganzen Betriebs oder von Teilen des Betriebs
– Zusammenlegung des Betriebs mit einem anderen
– Wichtige Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen
– Einführung wichtiger neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren

Das Mitbestimmungsrecht hat der Betriebsrat als Ganzes und nicht einzelne Mitglieder. Das bedeutet, dass eine Mehrheit der Mitglieder sich für die Wahrnehmung des Mitbestimmungsrecht aussprechen muss.

Kommt keine Einigung zwischen Betriebsrat und Unternehmen zu Stande, entscheidet die Einigungsstelle mit einfacher Mehrheit. Die Einigungsstelle besteht zur Hälfte aus sogenannten Beisitzern, die das Unternehmen benennt und zur Hälfte aus Beisitzern, die der Betriebsrat bestimmt. Auf den Einigungsstellenvorsitzenden (in der Regel Arbeitsrichter*innen), der auch ein Stimmrecht hat, müssen sich beide Seiten einigen. Die Kosten der Einigungsstelle trägt das Unternehmen, was gerade gegen kleine Firmen ein gutes Druckmittel sein kann.

Während eines Streiks gibt es kein Mitbestimmungsrecht bei Einstellungen, Versetzungen und Entlassungen. Somit kann das Unternehmen rechtlich ungehindert Streikbrecher*innen einstellen.

Informations- und Beratungsanspruch
Der Betriebsrat muss über viele Veränderungen im Betrieb informiert werden. Dazu gehören personelle Veränderungen wie Kündigungen und Neueinstellungen oder Betriebsänderungen wie die Umgestaltung von Arbeitsplätzen. Zu manchen Fragen hat er auch einen Beratungsanspruch, den das Unternehmen aber ohne negative Konsequenzen mißachten kann.

Anhörungsanspruch
Vor jeder Kündigung muss der Betriebsrat angehört werden. Widerspricht der Betriebsrat der Kündigung und klagt der Gekündigte, muss dieser bis zum Ende des Arbeitsprozesses weiter beschäftigt werden.

Schulungsanspruch
Der Betriebsrat (als Institution) muss regelmäßig an Schulungen teilnehmen. Die Schulungsmaßnahmen werden vom Unternehmen bezahlt. Neugewählte Betriebsratsmitglieder müssen 4 Wochen Schulungen ableisten.

Betriebsversammlungen
Ein Mal im Quartal muss der Betriebsrat eine Betriebsversammlung einberufen. Zwei Mal im Jahr kann der Betriebsrat zusätzlich eine Betriebsversammlung einberufen. Die Betriebsversammlungen finden während der Arbeitszeit statt. Die An- und Abfahrt zur Versammlung zählt als Arbeitszeit. Neben allen Beschäftigten ist auch die Geschäftsführung eingeladen und hat Rederecht. Der Vertreter des Unternehmens muss auf den vierteljährlichen Betriebsversammlungen Bericht erstatten über das Personal- und Sozialwesen, die wirtschaftliche Lage und den betrieblichen Umweltschutz.

Sozialplan
Das Unternehmen muss bei Betriebsänderungen ab einer gewissen Größe (z.B. bei Schließung oder Verlagerung in eine andere Stadt), die zu wesentlichen Nachteilen für erhebliche Teile der Belegschaft führen könnten, mit dem Betriebsrat einen Sozialplan entwickeln. Im Kern handelt es sich dabei um die Höhe und Verteilung von Abfindungen. Ohne Betriebsrat ist das Unternehmen nicht zu einem Sozialplan verpflichtet.